Nie wieder ist jetzt: Was folgt aus den jüngsten Massendemonstrationen?

Die jüngsten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze waren eindrucksvoll. Über 200.000 Teilnehmer kamen zum Münchner Siegestor, über 1000 waren es in Seefeld und bis zu 300.000 beim Lichtermeer auf der Theresienwiese.

Zeit, um Bilanz zu ziehen. Für viele stellt sich die Frage, wie es nun weitergehen soll. Haben die Demonstrationen tatsächlich etwas bewirkt? Erste Meinungsumfragen deuten einen leichten Rückgang des AfD-Stimmenanteils an – es bleibt allerdings offen, ob dieser Rückgang von Dauer ist.

Aus meiner Sicht sollte als nächster Schritt über den Elefant im Raum gesprochen werden: Die Frage der Verfassungswidrigkeit der AfD. Im Grundgesetz (Art. 21 Abs. 2) ist dies relativ klar geregelt:

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

In der öffentlichen Debatte wird über das Pro und Contra eines Parteiverbots diskutiert. Dabei ist das Grundgesetz mit der Formulierung „… sind verfassungswidrig“ eigentlich sehr eindeutig. Wenn die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, besteht hier also überhaupt kein Spielraum – vorausgesetzt natürlich, dass eine der berechtigten Institutionen (Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung) einen entsprechenden Prüfungsantrag ans Bundesverfassungsgericht stellt. Dabei geht es nicht darum, dass bestimmte Parteien sich unliebsamer Konkurrenz entledigen wollen. Sondern schlicht und einfach darum, dem Grundgesetz, der Verfassung unseres Landes, Geltung zu verschaffen. Natürlich könnten die Institutionen mit diesem Antrag bis zum Sanktnimmerleinstag warten. Damit würden sie aber letztlich nur die Autorität des Bundesverfassungsgerichts als Hüterin des Grundgesetzes untergraben.

Natürlich ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen, wie eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht letztlich ausgehen wird. Eine wesentliche Rolle dürften dabei die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden spielen. Drei AfD-Landesverbände (in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt) wurden von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Ulf Buermeyer und Sandra Schulz haben im Podcast „Lage der Nation“ diverse Zitate von Björn Höcke, Maximilian Krah und anderen gesammelt, die die verfassungsfeindliche Grundhaltung der AfD nahelegen. Das Zentrum für Politische Schönheit hat auf afd-verbot.de eine anonyme Hinweisgeberplattform gestartet, auf der bereits über 2000 „Beweisstücke“ gesammelt wurden.

Polen und Ungarn haben gezeigt, dass auch Demokratien keinesfalls immun sind gegen Demokratiefeinde, die sie abschaffen wollen. In Polen ist es gerade noch einmal gut gegangen, vor allem weil es noch Ansätze einer unabhängigen Presse gab. Das ist in Ungarn nicht mehr der Fall. Dennoch wurde auch in Polen der Rechtsstaat massiv beschädigt, indem die Judikative durch Besetzung mit willfährigen Richtern ausgehebelt wurde. Es ist noch nicht sicher, inwieweit die Regierung Tusk das alles heilen kann.

Auch hier in Deutschland sind wir keinesfalls immun gegen Feinde der Verfassung. Die Politsatiresendung „Die Anstalt“ hat letztes Jahr im Detail durchdekliniert, wie die AfD auch in Deutschland Stück für Stück die Demokratie aushebeln könnte. Die Petition „AfD stoppen: Verfassungsgericht schützen!“ fordert daher, das Bundesverfassungsgericht vor einer Entmachtung durch Demokratiefeinde zu schützen.

So sinnvoll dies ist, betrachte ich es aber auch als moralisch geboten, den Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit schnellstmöglich zu stellen. Denn spätestens wenn die AfD in ersten Landesregierungen vertreten sein sollte oder AfD-Richter an höchste Gerichte berufen werden, dürfte dies schwieriger bis unmöglich werden.

Gegner eines solchen Verfahrens führen an, man schaffe damit Märtyrer und beseitige nicht das AfD-Wählerpotenzial. Dies überzeugt mich nicht. Zum einen stilisiert sich die AfD bereits jetzt als Opfer von Medien, „Altparteien“ und so weiter. Daran würde sich also kaum etwas ändern. Andererseits würde von dem Prüfauftrag aber ein klares Signal an Gelegenheits- und Protestwähler ausgehen, dass die Partei möglicherweise verfassungswidrig ist.

Einige sprechen sich auch für eine mildere Sanktion aus, die Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet Art. 21 Abs. 3 Grundgesetz:

Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

Man vergleiche die Formulierung mit dem oben aufgeführten Absatz 2, der die Verfassungswidrigkeit regelt. Es fällt auf, dass die Tatbestandsmerkmale nahezu identisch sind. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: „Anders als das Parteiverbot setzt der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung nicht voraus, dass die Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele potentiell auch erreichen kann.“

Dies war beim NPD-Verbotsverfahren relevant: Denn 2017 hatte das Gericht zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD festgestellt, ein Verbot aber abgelehnt, weil die Partei nicht schlagkräftig genug sei. Im Januar 2024 wurde nun der NPD durch das Gericht die staatliche Finanzierung entzogen, denn hier kommt es nicht darauf an, ob die Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele potentiell auch erreichen kann.

Angesichts von Umfragewerten von bis zu 33% in Thüringen stellt sich diese Frage bei der AfD nicht. Bei solchen Prozentwerten wird eine Regierungsbildung unter Ausschluss der AfD bereits kompliziert. Und auch ohne Regierungsbeteiligung kann eine Partei solcher Größe die politische Agenda maßgeblich beeinflussen.

Wenn das Gericht die Verfassungsfeindlichkeit der AfD feststellen sollte, was die Voraussetzung für den Entzug der staatlichen Finanzierung ist, müsste es konsequenterweise gleich das Parteiverbot aussprechen, denn die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Ziele kann bei der AfD – im Gegensatz zur NPD – nur bejaht werden. Der Geldentzug als mildere Sanktion erscheint damit fragwürdig. Zumindest dürfte die gerichtliche Prüfung nicht schneller erfolgen als bei einem Verbotsverfahren.

Denkbar wäre jedoch die Einschränkung des Verbotsantrags auf einzelne Parteigliederungen wie z.B. die Junge Alternative oder die drei als gesichert rechtsextremistisch eingestuften östlichen Landesverbände. Dies würde die Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren erhöhen.

Fazit
Die Mitglieder von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sollten den Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD möglichst bald stellen, wollen sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, aus der Geschichte nichts gelernt zu haben. Dr. Andreas Fischer-Lescano hält das im Verfassungsblog sogar für eine „demokratische Pflicht“.

Das Zeitfenster für ein Verbotsverfahren könnte sich schneller schließen, als uns allen lieb ist. Daher mein dringender Appell an alle Bundestagsabgeordneten, und alle Mitglieder von Landesregierungen und Bundesregierung: Handeln Sie jetzt, so lange es nicht zu spät ist. Nie wieder ist jetzt!

Ortwin Gentz