Das Klinik-Vorgehen aus Projektmanagement-Sicht

Das Vorhaben ist in seiner Gesamtheit außerordentlich komplex. Es ist zwar nicht derart maximal knifflig wie ein Flughafenneubau, olympische Spiele oder eine Raumfahrtexpedition aber auch nur eine Stufe darunter. Allwissenheit ist nur dem Herrgott im Himmel gegeben. Und da wir Menschen hienieden so begrenzt in unseren Fähigkeiten sind, haben sich in den letzten Jahrzehnten Standardmethoden etabliert. Der Gotthardtunnel z.B. wurde mittels HERMES5 zum Erfolg geführt. Die Methode ist populär im Ursprungsland Schweiz, aber auch nur dort. Aus dem anglo-amerikanischen Raum stammend haben sich über die Jahrzehnte Methoden weltweit, auch in sehr hohem Maße in Deutschland(!), durchgesetzt: überwiegend PRINCE2, MSP, Scrum und SAFe. Derlei Methodenanwendung zeigt durchschlagende Erfolge, nur zwei Beispiele: Die olympischen Spiele 2012 in London liefen glatt über die Bühne und Rotterdam hat einen neuen Tiefwasserhafen, welcher Hamburg das Wasser abgräbt. Hat niemand gemerkt in Deutschland, weil unseren schlauen Nachbarn deutsches Dünkeldenken fremd ist.

Aber wie steht es um unser Thema, welches zweckmäßigerweise als strategische Modernisierung, für 100 Jahre in die Zukunft, ausgerichtet sein sollte? Das Vorgehen ist offensichtlich aus der Zeit gefallen. In einer Mischung aus Einlullung und Geheimniskrämerei wird versucht, es brachial und frontal durchzusetzen. Vorbenanntes modernes und methodisches Management jedoch hat Respekt vor der Herausforderung und versucht Menschen unterschiedlicher Interessen und Perspektiven einzubinden und mitzunehmen.

Ziele brauchen Führung. Von Spitzenführungskräften der Gegenwart – das Kaiserreich war früher – darf man erwarten, eine Herausforderung von der Schwierigkeitsklasse „Quadratur des Kreises“ klaglos anzunehmen. Moderne Führungskräfte gestehen ein, außer professioneller Zuversicht zunächst die Lösung noch nicht zu kennen und deshalb auf die Kraft der Gemeinschaft zu bauen. Spitzenführungskräfte achten dabei auf sach- und situationsgerechte Kommunikation.

Der moderne Teil Deutschland lernt aus seinen Fehlern. Stuttgart 21 war ein kommunikatives Desaster. Es hat gemangelt am Einbinden der politisch interessierten Öffentlichkeit. Vorstehende Methoden sind vom roten Faden des „Stakeholdermanagements“ durchzogen. Anstand ist das Merkmal moderner Politik! Die Deutsche Bahn hat daraus gelernt, weshalb das bahneigene Architekturbüro nunmehr Bahnhofsmodernisierungen mittels PRINCE2 treibt.

Wie hätte ein methodisches Vorgehen aussehen können? Diese Frage kann nur hypothetisch und höchst vereinfacht dargestellt angegangen werden. Man hätte ein Projekt „Realisierbarkeitsprüfung“ aufgesetzt – viele Monate, vielleicht mehr und mit einer signifikant zweistelligen Anzahl an kompetenten Menschen. Diesem Projekt hätte man initial eine Reihe an Bedingungen aufgegeben: Keine Ausdehnung in ein Landschaftsschutzgebiet mal primär – wozu sonst steht ein Gebiet unter Landschaftsschutz, als dass es nicht so mir nichts, Dir nichts als Verfügungsmasse genommen werden kann? Vermutlich hätte das Projekt dann nach einiger Zeit eine Weisungsanfrage an die höhere Ebene gestellt: „Leider nicht lösbar unter den gegebenen Bedingungen; dürfen wir eine weitere Erwägungsiteration anstellen, indem die finanzielle Grenze ausgeweitet wird?“ Oder man hätte um Flexibilisierung einer anderen, dem Landschaftsschutz nachrangigen, Bedingung gebeten. Sprich, man wäre priorisierend risikoorientiert vorgegangen, ohne etwas verschleiernd zu erschleichen. Und in rückkoppelnden Schleifen. Das mag irritierend anmuten, führt aber zum besten Ergebnis. Weltweite Erfahrungen belegen das.

Detlef Huß